Mittwoch, 6. März 2019

Die Macht des Feuers und des Wassers


Ein Feuerwehrfahrzeug fährt langsam durch die Steppe und zieht an einem Seil einen brennenden Reifen hinter sich her. Pechschwarzer, bestialisch stinkender Rauch steigt auf.  In dem spärlichen, gelben Gras auf den Hügeln oberhalb des Flussufers bleibt eine verkohlte Schneise zurück. An den Stellen, wo die Halme höher und dichter sind, fangen sie Feuer. Vom Winde angefacht, lecken sich die Flämmchen vorwärts, nicht schnell, aber beständig, einen schwarzgrauen, sich immer weiter vergrößernden Flecken zurücklassend.
Der Rauch umhüllt die Ruine einer orthodoxen Kirche. Auf dem einen der beiden Haupttürme steht noch die zwiebelförmige Kuppel mit dem dreibalkigen Kreuz, von den vier kleineren Türmchen, die sie umgeben, ist einer übriggeblieben. Der andere große Turm ragt als abbröckelndes Ziegelrund in den sonnigen Winterhimmel. Innen spießen braune Stahlträger aus den Wänden, die einst Zwischendecken trugen, der Boden ist dicht von Kuhfladen bedeckt, an einigen Stellen sind die Wände beschmiert. Bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts war hier das Zentrum einer Siedlung, die dann auf Anweisung aus Moskau ans andere Flussufer verlegt wurde. Novoselenginsk, einst bedeutender als Ulan-Ude, ist heute ein weitgehend vergessenes Provinznest, bekannt nur durch das Grab zweier hierher verbannter Dekabristen und eines diesen gewidmeten Museums. Hauptereignis der letzten zwei Jahre waren die tagelangen Dreharbeiten an der Kirchenruine für einen Film über den Großen Vaterländischen Krieg unter Beteiligung von vier deutschen Schauspielern. Dafür gibt sie eine gute Kulisse ab, das Ergebnis von hundertfünfzig Jahren Verwitterung ist vergleichbar mit einem Bombeneinschlag.
Das Abbrennen der Steppe soll Bränden im Sommer vorbeugen. Wo nichts wächst, kann nichts entzündet werden durch unachtsam zurückgelassene Feuer oder Zigarettenkippen, Flammen, die dann auf den Wald übergehen könnten, der sich an den Hügeln in die Höhe zieht.

Im Eis der Selenga erstrecken sich im Abstand von zehn Schritten zueinander vier Gräben, hunderte Meter lang, fast einen Meter tief und ebenso breit. Mit schwerem Gerät müssen sie gefräst worden sein, und die herausgeraspelten Eissplitter liegen als kegelförmiger Wall daneben. Noch ein paar Wochen, der Schnee auf den Hängen weiter flussaufwärts beginnt zu tauen und füllt das Flussbett mit Wasser, das aber dann noch vereist sein wird. Es wird sich in die Gräben ergießen, die auf diese Weise sicherstellen sollen, dass die gefrorene Selenga nicht über die Ufer tritt und das Schmelzwasser die tieferliegenden Wohngegenden überschwemmt. An anderen Stellen werden zu diesem Zweck im zuendegehenden Winter sogar Sprengungen des Eises vorgenommen. Doch bis dahin ist noch etwas Zeit. Jetzt sitzen noch die Eisangler an ihren in das anderthalb Meter dicke Eis gebohrten Löchern unter dem sonnigen blauen Himmel; mit Autos sind sie auf die Flussmitte gefahren, von der anderen Uferseite aus, wo die Gräben nicht den Weg versperren.