Donnerstag, 14. März 2019

Eindrücke aus der Transsibirischen Eisenbahn

Meine 20-jährige Schwester Christiane und ihr Freund Joni haben ihre ersten Semesterferien dazu genutzt, um sich auf den Weg nach Ulan-Ude zu machen und sind heute Mittag mit dem Zug eingetroffen. Im Interview erzählen sie, warum die Reise für sie mehr Abenteuer als Romantik war und wie es sich im offenen Großraumwagen schläft.
Liebe Christiane, lieber Joni, ihr habt gerade vier Tage und vier Nächte Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn hinter euch von Moskau bis nach Ulan-Ude. Viele in Deutschland träumen von einer solchen Reise und verbinden sie mit Romantik und Abenteuer. Könnt ihr dieses Klischee bestätigen?

Christiane: Abenteuer ja, Romantik nicht so sehr, würde ich sagen. Es war auf jeden Fall aus mehreren Gründen eine spannende Erfahrung. Zuerst wäre zu nennen, dass wir vier Tage in einem Zug gelebt haben und unser Zuhause und Rückzugsort in dieser Zeit eine Liege im Großraumwaggon war. Wir hatten mit Hilfe des Reiseführers im Bewusstsein, wo wir uns gerade befanden – also die meiste Zeit inmitten sibirischer Wälder – und bekamen den Weg, den wir zurücklegten, in seiner Länge viel bewusster mit, als wenn wir beispielsweise geflogen wären. Gewürzt wird die Erfahrung dadurch, dass die Menschen, die uns umgaben, eine andere Sprache sprachen, aus einer anderen Kultur kamen und nicht als Touristen unterwegs waren, sondern als ganz normale Einheimische.
Joni: Das Abenteuer kann ich bestätigen, die Romantik fehlte jedoch. Höchstens im Hinblick auf die weitläufige Natur, aber im Zug an sich geht es eher rustikal zu. Wer Romantik will, muss sich wohl so ein schickes Touristenabteil für viel Geld reservieren, aber dann fehlt sicher das Abenteuer. 

Ihr wart in einem offenen Großraumwagen unterwegs, da gibt es nicht so viel Privatsphäre. Hat euch das manchmal gestört?

Christiane:  Tatsächlich hat es weniger gestört als vor der Reise befürchtet, man muss aber dazu sagen, dass wir durch unseren einjährigen Aufenthalt Neuseeland sicherlich schon ein wenig geübt sind. Wir waren uns schon dessen bewusst, dass uns die Mitreisenden beim Schlafen bobachten können und vor allem bei längeren nächtlichen Zwischenstopps wechselten sich die Bewohner der gegenüberliegenden Betten des Öfteren aus. Das hat die nächtliche Ruhe etwas gestört, denn wir wollten uns ja immer erstmal ein Bild von demjenigen verschaffen, der nun in einem Meter Abstand von einem entfernt sein Nachtlager errichtet, ehe wir in Ruhe weiterschlafen konnten.
Joni: Das hat schon gelegentlich gestört beim Schlafen, wenn einem die Leute an die Füße stoßen oder auffällig unauffällig in unsere Nische starren. Wenn man bedenkt, dass wir die einzigen Ausländer waren und quasi in der Öffentlichkeit geschlafen haben, war es doch ganz gut auszuhalten und natürlich eine spannende Erfahrung.

Mit den Englischkenntnissen vieler Russen ist es ja nicht zum Besten bestellt. Hattet ihr trotzdem interessante Begegnungen im Zug?

Christiane: Ja wir hatten meistens Glück: entweder wir wurden nicht weiter gestört, nachdem die Sprachbarriere klar geworden war und kein Interesse daran bestand, sich für gegenseitiges Verständnis mit Händen und Füßen einzusetzen. Oder das Gegenteil war der Fall und wir alle suchten emsig in unseren Sprachführern und Onlineübersetzern nach den Bedeutungen einfacher, banaler Sätze der jeweils fremden Sprache. Eine Frau, die dreißig Jahre lang eine große Schule geleitet hatte, sprach sogar noch recht gutes Deutsch, ein Überbleibsel aus dem Unterricht in ihrer Kindheit.
Joni: Die Dialoge beschränken sich natürlich auf das Wesentliche, aber interessant waren die Begegnungen trotzdem. Man bekommt den Charakter der Leute mit, wie gesprächsbereit oder interessiert sie sind und auch wo kulturelle Unterschiede zu sein scheinen.  

Macht das tagelange Betrachten der russischen Weiten aus dem Zugfenster nicht ein wenig melancholisch?

Christiane: Bis Krasnojarsk, also die gesamten ersten drei Tage lang, ist von russischen Weiten nicht viel zu spüren, denn hauptsächlich fährt der Zug durch Taigawälder. Westsibirien dagegen ist hügeliger und der Blick konnte weiter schweifen, aber ich denke, melancholisch sind wir nicht geworden. Das Aus-dem-Fenster-schauen hat sich als schöne Beschäftigung entpuppt, wenn sonst nicht viel zutun ist, man ein bisschen müde ist und zu unkonzentriert zum Lesen. Also nicht melancholisch, eher träumerisch. Und beim Anblick der halb verfallenen Häuser in kleinen, abgelegenen Dörfern, begraben unter dicken Schneedecken, hat sich der Zug gleich viel gemütlicher angefühlt.
Joni: Das kommt wohl auf den Charakter an. Ich persönlich bin dadurch eher ungewöhnlich ruhig geworden und habe (auch ungewöhnlich) viel gelesen oder beim Schauen aus dem Fenster einfach Musik gehört.

Gab es unerwartete oder unangenehme Vorkommnisse auf eurer Reise? Habt ihr euch sicher gefühlt an Bord des Zuges?

Christiane: Tatsächlich haben ich mich sehr sicher gefühlt, nicht zuletzt deswegen, weil gleich zu Beginn, als beim Einstieg unsere Pässe kontrolliert wurden, ein Sicherheitsmann uns gleich ein wenig in Obhut genommen hat und uns seine Hilfe während der gesamten Zugfahrt zusicherte. Er kam dann auch jeden Tag  mehrfach bei uns vorbei und wir wechselten jedes Mal ein paar nette Worte – fast als Einziger konnte er etwas Englisch.
Joni: Ja, Sicherheitsmann Alexej war in Punkto Sicherheit eine große Hilfe. Ansonsten gab es immer mal die ein oder andere Person, die einen mulmigen Eindruck bei uns hinterlassen hat, aber bestätigt hat sich das nie. Tatsächlich waren die Leute alles im allem sehr nett zu uns. Gestern Nacht setzte sich eine russische Wrestlingkämpferin – dritter Platz bei Olympia – an das Fußende meines Bettes, um mit ihrer Schwester zu quatschen und weckte mich damit auf. Das hat mich zunächst gestört, aber dann haben Chrissi und ich versucht, mit den beiden ein Gespräch zu führen und haben uns doch sehr gut mit Händen und Füßen verstanden. Unangenehm war allerdings die Toilette des Zuges, die uns gegen Ende immer dreckiger vorkam.

Nun seid ihr in der burjatischen Hauptstadt Ulan-Ude angekommen. Worauf freut ihr euch jetzt als nächstes?

Christiane: Ich freue mich auf Ausflüge zum Baikalsee mit schönen Wanderungen und Ausblicken, richtiges Essen und Spieleabende!
Joni: Nach der unmittelbaren Ankunft tatsächlich auf das Stillen der Grundbedürfnisse: Duschen und ordentliches Essen. Jetzt nach dem wir wieder sauber und satt sind, freu ich mich auf die winterliche Natur, die neue Kultur und auf das Beisammensein mit unseren lieben Gastgebern und auf kulinarische Entdeckungen.

Während in Russland der Hochschulbetrieb längst in vollem Gange ist, sind in Deutschland Semesterferien. Meine beiden Besucher registrierten sich nach ihrer Ankunft in Ulan-Ude erstmal für die Seminare für das Sommersemester in ihrer Studienstadt Magdeburg