Je öfter ich mit guten Freunden oder lieben Verwandten unterwegs bin, desto mehr wird mir die herausragende Funktion des Essens klar.
Früher, noch romantisch und verträumt in die Welt schauend, dachte ich, das
Reiseglück wäre für alle vollkommen, wenn die Natur erhaben, die Kultur
lehrreich und die Gesprächsthemen tiefgründig seien; Banalitäten wir die
Nahrungsaufnahme würden sich schon immer irgendwie von selbst regeln.
Inzwischen bin ich mir der zentralen, gruppenzusammenhaltenden und stimmungsrettenden
Bedeutung bewusst, die das richtige Essen zur richtigen Zeit einnimmt.
Die sonnabendliche Fahrt mit Frau, Kind, Schwester
und Schwesters Freund in mein geliebtes Bargusin-Tal steht zunächst unter
keinem guten Stern. Die Hälfte der Passagiere schlafen, die andere Hälfte
schweigt angestrengt. Der Fahrer trauert in Gedanken seiner Digitalkamera nach,
den seine Gattin am Vortag versehentlich in den schwefligen Schlamm der
Heilquelle fallen ließ. Graue Wolken hängen am Himmel. Zwischen Maximicha und
Ust-Bargusin kippt er stinkendes Benzin aus dem Reservekanister in den Tank und
sich dabei die Hälfte über die Hand und auf die Straße, da ein geeigneter
Trichter fehlt. Beim nächsten Tankstopp am Ortseingang von Ust-Bargusin, direkt
neben einer übelriechenden, rauchenden Müllkippe, deren Plastikabfälle vom Wind
in alle Himmelsrichtungen verteilt werden, öffnet Christiane die Autotür und
kotzt eine Runde auf die schlammige Straße – vielleicht eine Folge des
gestrigen Abends, als unsere freundlichen Gastgeber auf der Datsche in
Gorjatschinsk ihre Gäste in die Traditionen der russischen Gastfreundschaft einführten
und uns sehr höflich und sehr bestimmt zum Trinken nötigten: jedes Glas auf Ex,
und natürlich darf die Wodkaflasche nicht angebrochen stehenbleiben. Als wenig
später der Asphalt endet und die Holperpiste nach Bargusin beginnt, schaue ich
verstohlen in das Gesicht meiner Frau: ob sie am untypischen Röhren des Motors
und den seitlich hervorquellenden Abgasen gemerkt hat, dass unser Auspuffrohr
ein Loch hat und jeden Moment abfallen könnte? Ihr sonnenbrillenbedecktes Gesicht
verrät keine Emotionen. Bei Bargusin gibt es kurzzeitig Asphalt, dann folgt gewellter
Sandboden, über dessen Riffel der Wagen wie über ein Waschbrett rattert. Ich
verkneife mir meinen Vortrag über die örtlichen Sehenswürdigkeiten, den wegen
des Lärmpegels ohnehin niemand verstehen würde, und erinnere mich an
Mückenterror und das Auto rammende Kühe auf der verschimmelten Bauernhofruine
meines Bekannten Sergej, die jetzt irgendwo links in der Steppe hinter uns
zurückbleibt.
Am Fuße der „Sächsisches Schloss“ genannten
Felsformation, am Rande einer Weidefläche vor Beginn der Holzhäuser des Dorfes
Suvo, parke ich den Wagen und fordere zum Aussteigen auf. Die Sonne ist
hervorgekommen. Zögerlich schälen sich meine Mitreisenden aus dem Auto und
hocken sich neben die Decke, die ich flugs daneben ausgebreitet habe.
Thermoskannen, Obst und Nüsse stehen bereit, mit kochendem Wasser werden Doshirak-Nudeln aufgebrüht, süßes Halwa macht die Runde. Nach wenigen
Minuten mischen sich Laute zufriedenen Schmatzens und genüsslichen Schlürfens
in das friedliche Geräusch des über die karge Steppe pfeifenden Frühlingswindes.
Ein heiteres Gespräch kommt in Gang. Der Tag ist gerettet. Mit gefüllte Mägen
und geschmeichelten Gaumen begeben wir uns den Hang hinauf in das
elbsandsteingebirgeähnliche Felsenparadies, Jonathan und Christiane geben sich
einen Kuss, Niso breitet die Arme im Wind aus und Maja spielt mit mir Fangen.