Neulich habe ich bei meinen
Studierenden eine Umfrage in Auftrag gegeben. Sie sollten nicht deutsch
sprechende Freunde nach den ersten deutschen Worten fragen, die ihnen in den
Sinn kommen, ganz spontan, ohne nachzudenken. „Das Ergebnis könnte Ihnen nicht
gefallen“, meinte eine Studentin zu mir, nachdem ich die Aufgabe gestellt
hatte. „Jaja, ich weiß schon: Hände hoch
und Hitler kaputt“, gab ich zurück, „stört
mich nicht, schreiben Sie das auch mit auf!“
Und das scheinen die bekanntesten
deutschen Worte unter nicht deutsch-sprechenden Russen zu sein:
- Ja, natürlich, Hände hoch, eins zwei drei, hallo, kaputt
- ich liebe dich, Schweine, auf Wiedersehen
- du hast mich, fantastisch, sehr gut, Deutschland
- schneller, Frau, Sieg, nein
Welche russischen Wörter kommen
russisch-unkundigen Deutschen zuerst in den Sinn? Babuschka, Wodka, Perestroika? Im Sommer werde ich meine Bekannten
fragen.
Während in Deutschland die Uhren
um eine Stunde vorgestellt wurden, bleibt Russland auf der Winterzeit stehen.
Der Zeitunterschied zwischen Ulan-Ude und meiner Heimat hat sich damit von 7
auf 6 Stunden verringert – ein unbequemer Unterschied, um mit jemandem zu
skypen: Abends, wenn die Leute Zeit haben, bin ich schon im Bett. Und wenn ich
morgens um 7 Uhr aufstehe, schlafen meine deutschen Gesprächspartner schon. Als
ich im russischen Fernen Osten wohnte, in Chabarowsk, war die Zeitdifferenz mit
9 Stunden bequemer zu handhaben: in bester Morgenlaune konnte ich mit meinen
abendaktiven Freunden sprechen.
Hohe Berge haben oft die
Eigenschaft, sich ausgerechnet dort zu befinden, wo Staatsgrenzen verlaufen,
oder umgekehrt: Staatsgrenzen ziehen sich gern an Bergrücken entlang. Als
Bergliebhaber habe ich deshalb schon einige Male ganz besondere
Grenzerfahrungen gesammelt. Das erste Mal war im Jahre 2001, als ich die
israelischen Golan-Höhen erstieg, um einen Blick von oben auf das damals noch
friedliche Syrien zu werfen. Dass es sich um ein umkämpftes Grenzgebiet
handelt, hatte ich dabei vergessen. Während meiner Übernachtung im Schlafsack
auf Felsen unter freiem Himmel wunderte ich mich über das Krachen einiger in
nicht allzu weiter Entfernung explodierender Geschosse. Am nächsten Morgen
wurde ich von einer Militäreskorte aufgegriffen und nach unten begleitet. Das
zweite Mal war 2011 im russisch-chinesischen Grenzgebiet bei Chabarowsk. Damals
hatte ich noch nicht begriffen, dass Russland nicht Europa ist: es gibt nicht
nur keine „grünen Grenzen“ (einzige Ausnahme ist der sich unmerklich
vollziehende Übergang zum befreundeten Weißrussland), sondern auch eine pogranitshnaja zona bis weit vor der
eigentlichen Grenze, deren Betreten nur mit besonderer Erlaubnis möglich ist.
Mit einem einheimischen Bekannten lief ich den Amur flussabwärts, um einen
Blick auf das am anderen Ufer beginnende China zu werfen. Bewusst ignorierten
wir den sich fast bis ans Wasser ziehenden Stacheldraht und liefen einem
Militärposten direkt in die Arme. Mit verbundenen Augen wurden wir abgeführt, höfliche
junge FSB-Mitarbeiter verhörten uns anschließend – natürlich getrennt – etwa 4
Stunden lang, überprüften die Kontakte in meinem Handy und wollten wissen,
welche Beziehungen ich zur Bundeswehr habe. Meine dritte Grenzerfahrung hatte
ich 2013 im Altai-Gebirge, zum Fuße des russisch-kasachischen Grenzberges
Belucha vordringen wollend. Statt dessen landete ich in einer Waldlichtung bei einem
Grenz-Vorposten, der mich nach dem langwierigen Ausfüllen einiger Formulare auf
der Motorhaube des Dienst-Jeeps zum Bezahlen einer Geldstrafe zur Sparkasse des
nächsten Ortes zurückschickte, weil ich ohne propusk, ohne Genehmigung, die pogranitshnaja
zona betreten hatte.
Der höchste Berg Burjatiens,
genannt Munku-Sardyk, befindet sich, wie sollte es anders sein, auch wieder an
einer Grenze, diesmal an der russisch-mongolischen. Um diesmal nichts zu
riskieren - die Stimmung ist im Zeichen der politischen Krise rauer geworden,
und Kollegen berichten, dass an manchen Orten die Migrationsbehörde nur auf
einen Vorwand wartet, um westliche Ausländer herausschmeißen zu können – begab
ich mich brav zur Grenzabteilung des FSB, um einen Propusk für den Munku-Sardyk zu beantragen. Der populärste Zeitraum
für die Besteigung ist Anfang Mai, wenn die Bergflüsse noch zugefroren sind.
Keine Chance, musste ich leider erfahren: Ausländern wird die Genehmigung erst
nach 2 Monaten erteilt. In die Mongolei kann ich ohne Visum fahren, in den
angrenzenden Landstreifen Russlands zu kommen erweist sich als schwieriger. Also
stellte ich den Antrag für August – um meine nächste Grenzerfahrung diesmal
ganz offiziell abzusichern.
Ich habe die ersten Frühlingsblumen
entdeckt, auf einen Ausflug zum Schlafenden
Löwen, einem wunderschönen Aussichtshügel am Fluss Selenga eine halbe
Fahrtstunde südlich von Ulan-Ude. Keine Schneeglöckchen, Märzenbecher oder
Krokusse, sondern kleine lila Küchenschellen, die den braunen, kahlen
Steppenboden verschönern.
(Foto: Natalia) |