Die Stadt Ulan-Ude hat eine große Bedeutung als Eisenbahnknotenpunkt.
Von der weiter nach Osten führenden Transsibirischen Eisenbahn zweigt hier die
Transmongolische Bahn ab, die über Ulan-Bator nach Peking verläuft. Meinen
bevorstehenden vierzigsten Geburtstag und unseren gerade zurückliegenden ersten
Hochzeitstag möchten Niso und ich zum Anlass für eine Zugfahrt in die
chinesische Hauptstadt nehmen, eine zweitägige Fahrt durch die Weiten der
südburjatischen Steppe und das Nichts der mongolische Wüste bis hinein in die
chinesischen Ballungszentren, wo sich ein Wolkenkratzer an den anderen reiht.
Die Einreise in die Mongolei ist für uns visafrei. Eine sehr
freundliche Burjatin in einem vollgestopften Büro an einem kleinen überfüllten
Schreibtisch kümmert sich um die Beschaffung der Touristenvisa für China. Da
Niso und ich unterschiedliche Staatsbürgerschaften haben, werden unsere Pässe
per Express-Kurier in verschiedene Landesteile geschickt: Nisos Pass nach
Westen, in das am nächsten gelegene chinesische Konsulat in Irkutsk. Mein Pass
in den Osten, nach Wladiwostok, da der Irkutsker Konsul leider keine Visa an
Nicht-Russen ausstellt.
Nach zwei Wochen kommt mein Pass zurück, wie schade: ohne Visum.
Leider wurde die Annahme in den Wladiwostok und auch in Chabarowsk verweigert,
sagt die freundliche Burjatin und vermutet, es könne mit der Arbeitsüberlastung
der Konsulate vor den chinesischen Nationalfeiertagen Anfang Oktober zu tun
haben. Sie würde meinen Pass etwas später einfach nochmal hinschicken, dann
wäre dort auch ein anderer, sicher besser gelaunter Konsul und es klappe
bestimmt.
Auch meine Frau bekommt zunächst kein Visum: sie möge sich bitte zu
einem persönlichen Gespräch in Irkutsk einfinden. Grund ist ihr muslimisches
Geburtsland Tadschikistan und die neuen chinesischen Vorschriften der
Terror-Prävention.
Also reist Niso mit dem Nachtzug nach Irkutsk und begibt sich zum
chinesischen Konsulat. Ein kurzer Blick in ihr Gesicht überzeugt die Chinesen,
dass sie es mit einer nicht-vollverschleierten, ungefährlichen Touristin zu tun
haben. Ihr Pass wird angenommen und eine Woche später mit dem ersehnten Visum
nach Ulan-Ude zurückgeschickt. Niso setzt sich in den Bus und ist schon nach
weniger als einem Tag wieder zuhause: vierzehn Stunden Hin- und Rückfahrt, drei
Stunden in Irkutsk.
Unterdessen – in China wurden die pompösen Feiern zum siebzigsten
Jahrestag der Gründung der Volksrepublik erfolgreich absolviert – fliegt mein Reisepass ein
zweites Mal an die Pazifikküste, erst nach Wladiwostok, dann nach Chabarowsk.
Nach einer Woche bestellt mich die freundliche Burjatin in dem kleinen Büro
wieder zu sich und händigt mir mit mitleidigem Blick das Dokument aus. Wieder
kein Visum. Warum, wisse keiner, sofortige Ablehnung, mein deutscher Pass wurde
nicht einmal aufgeschlagen. Es täte ihr wirklich sehr leid.
Niso und ich haben zu sehr der transmongolischen Eisenbahnfahrt
entgegengefiebert, als dass wir zuhause bleiben würden. Auch Maja, die gerade
Schulferien hat, freut sich auf eine Woche Elternfrei bei Oma und Opa auf dem
Dorf. Also besteigen wir trotzdem den Zug. Vor der Abreise schauen wir zur
Einstimmung „Die Geschichte vom weinenden Kamel“. Unser neue Ziel heißt Sainshand,
ein kleiner mongolischer Ort zweihundert Kilometer vor der chinesischen Grenze,
inmitten der Wüste Gobi.