Seit der Rückkehr aus Moskau vor zehn Tagen sind
wir fast nur zuhause. Alle, die aus der Hauptstadt ankommen – fast jeden Tag
ein Flugzeug – stehen unter besonderer medizinischer Beobachtung. Jeden Tag
bekommen Niso und ich je einen Anruf aus der Poliklinik mit der Frage nach
unserem Wohlbefinden und der Erinnerung, die Regeln der Selbstisolation
einzuhalten. Unangemeldet kam eine Ärztin vorbei und untersuchte uns auf
Coronavirus-Symptome. Eine zweite Ärztin nahm gestern Abstriche aus Mund und
Nase: der Corona-Test, welcher seit Neuestem gleich in Ulan-Ude ausgewertet
wird. Im Falle eines positiven Ergebnisses bekommen wir heute Bescheid.
Uns geht es gut. Jeden Tag schickt Soja Dolgorovna,
Majas Klassenlehrerin, per Viber
Aufgaben, die alle Schüler bis zum Mittag erledigen sollen: online auf der
Seite der Rossijskaja Elektronnaja Schkola
oder per Hand ins Heft zu schreibende Übungen aus dem Lehrbuch, von denen dann
ein Foto an die Klassenlehrerin zurückgeschickt wird. Ich hatte mit einer
Studentengruppe den ersten Online-Gruppenunterricht per Zoom. Nachmittags arbeite ich mich auf unserem sich mehr und mehr
verstimmenden Klavier Takt für Takt durch die beiden einfachsten
Beethoven-Klaviersonaten (op. 49) und übe eine halbe Stunde mit Maja. Der
Klavierstimmer weigert sich zu kommen und verweist auf die bis Ende April
geltenden Bestimmungen der Selbstisolation. Natürlich hat er recht, ein alter
Mann, Risikogruppe.
Maja ist viel ausgeglichener und folgsamer als zu
Zeiten des normalen Schulbetriebs. Sie spielt selbstversunken mit dem
Puppenhaus aus Karton, produziert geduldig eine Seifenblase nach der anderen
auf ihrer Hand, sortiert unsere dreißig Bände der Großen Sowjetischen
Enzyklopädie, fordert uns zum Einkaufen in ihrem Geschäft oder zum Kuhhandel-Spielen auf und geht nach
draußen: mit mir eine kleine Runde an der Kirche joggen oder mit Niso auf dem
gespenstisch kinderleeren Spielplatz herumspringen. Jeden Tag wäscht sie das Geschirr
und räumt manchmal noch die Wohnung auf, um uns eine Freude zu machen. Abends
spielt das neunjährige Mädchen mit großer Ausdauer in Wohn- und Schlafzimmer Verstecken
und empfindet ein endloses Vergnügen daran, von uns gesucht zu werden, obwohl
wir längst wissen, wo sie steckt und sie auch weiß, dass wir das wissen. Ich
lese meiner Frau aus dem „Schrecklichen Jahrhundert“ vor, eine fast achthundert
engbedruckte Seiten dicke Geschichte des bekannten burjatischen Schriftstellers
Isai Kalaschnikov über das Leben und Wirken von Dschinghis Khan, und finde es
dabei äußerst merkwürdig, dass Maja der komplizierten Erwachsenenlektüre mit Interesse
zuhört, ohne sich zu langweilen. Manchmal schauen wir eine Astrid-Lindgren-Verfilmung
auf Deutsch. Meine beiden Damen kennen die Handlung aus den Büchern in
russischer Übersetzung und können folgen, auch ohne alles Gesprochene zu
verstehen.
Seit wenigen Tagen sind in Ulan-Ude auch Bau- und
Gartenmärkte wieder geöffnet, damit die Leute alles Nötige zur Eröffnung der
Datschen-Saison besorgen können. Einhundertfünfzehn Corona-Fälle sind in
Burjatien registriert. Nachdem es an einem Tag mehr Gesundgeschriebene als COVID-19-Neuinfektionen
gab, zog das Oberhaupt der Republik die vorsichtige Schlussfolgerung, die
Situation sei unter Kontrolle.