Samstag, 8. Dezember 2018

Starthilfe

Minus fünfundzwanzig Grad. Mehr als ein kurzes Röcheln ist dem Motor meines Lada nicht zu entlocken. Nachbar Anatoli schleppt hilfsbereit eine Ersatzbatterie herbei und verbindet ihn mit zwei Kabeln mit dem meinen, vergebens, auch für die Starthilfe ist es zu kalt.
Am nächsten Morgen lege ich eine aus drei Verlängerungskabeln zu je zehn Metern zusammengestückelte Leitung aus dem Balkonfenster zum Auto – zum Glück habe ich es vorsorglich auf unserer Straßenseite geparkt – und schließe den kleinen elektrischen Heizer an, der sich unter der Motorhaube befindet. Das Kabel führt schräg durch die kahlen Bäume nach unten, am Eingang unseres Lebensmittelgeschäftes vorbei, wo ich ein Holzbrett darüberlege, damit niemand stolpert, und einmal quer über den Bürgersteig, wo ich es mit einer Isomatte und vier Ziegelsteinen absichere. Ein paar Stunden bleibt es so liegen, am Anfang fühle ich mich unwohl ob des von mir im öffentlichen Raum gebildeten Hindernisses, später wird es mir egal – Russen sind es gewohnt, über Baustellen, durch Löcher und entlang von Kabeln zu spazieren.
Fünf Stunden später: trotz angewärmter Schläuche springt der Motor immer noch nicht an. Dabei ist meine Batterie ganz neu und die Zündkerzen auch! Anatoli, dessen hinter meinem schlanken Lada stehender Toyota Landcruiser inzwischen auch nicht mehr anspringt, gibt wieder Starthilfe, diesmal klappt es. Gemeinsam fahren wir zu ihm auf die Datsche, um von dort seine Heißluftkanone zu holen. Mit dem benzinbetriebenen Apparat will er von unten seinen Motor erwärmen, vergebens: leider erweist sich der Motor der Heißluftkanone als eingefroren. Ich fluche auf meine Lederhandschuhe, in denen meine Finger in Minutenschnelle vereisen, und flüchte in die Wohnung. Für morgen sind minus dreißig angesagt.

Letzte Woche klingelte der Kurier an unserer Tür und brachte den Pass meiner Frau aus dem Novosibirsker Konsulat, mit beantragtem Visum, diesmal ein bis Ende 2020 gültiges Mehrfach-Einreisevisum, wie es an Reisende erteilt wird, die bereits mehrfach ihre Bereitschaft zum ordnungsgemäßen Verlassen Deutschlands unter Beweis gestellt haben. Am nächsten Samstag wird Niso in Irkutsk eine Deutschprüfung ablegen und ihre Deutsch-Grundkenntnisse unter Beweis stellen. Ihr Zertifikat über das Sprachniveau „A1“ ist Bedingung für unsere spätere gemeinsame Übersiedlung in meine Heimat.