Ein Reisebericht aus Kirgistan, Teil 3
Ich sitze auf einer Parkbank in Osh, unweit des Berges
Suleiman-Too. Was für eine ungewöhnliche Stadt: ein Berg in der Mitte, mit
zackigen Felsen, in deren Höhlen man herumkriechen kann, ein Netz von
Trampelpfade über den Hängen und angeblich jahrtausende alte gemeißelte Felszeichnungen.
Die markante Silhouette des Suleiman-Too-Berges diente Handelsreisenden auf der
alten, durch das Ferghana-Tal verlaufenden Seidenstraße als Orientierungsmarke.
Der biblische König Salomon könnte hier begraben sein, heißt es; heute ist der
Ort Unesco-Weltkulturerbe, was bisher noch niemanden dazu veranlasst hat, die
alten Petroglyphen vor neuen Schmierereien zu schützen, von denen sie manchmal
kaum zu unterscheiden sind. 20 Som Eintritt kostet es an der Kasse; Kassiererin
Gulmira hatte mich neugierig gefragt, ob die Mauer in Berlin noch steht und ob
wir in Deutschland in der Schule auch über Adolf Hitler sprechen. Ich sitze nun
also auf der Parkbank, als ein Mädchen sich neben mich setzt und auf Englisch
fragt, ob sie nicht ein wenig mit mir reden dürfe? Sie bereite sich gerade auf
eine Englisch-Olympiade vor und brauche noch ein bisschen Übung im Sprechen.
Ich unterhalte mich eine halbe Stunde mit der Elftklässlerin Elisa; sie fragt,
wie lange es dauert, um Deutsch zu lernen, weil ein Studium in Deutschland viel
weniger kostet als zum Beispiel in den USA.
Dann taucht Bilal auf, ein Mitarbeiter des Osh Guest House, wo ich übernachte und
mit dem ich eigentlich verabredet war. Wir brechen zum Stadtbummel auf.
Kirgistan ist ein sehr junges Land – überall große Mengen
junger Leute, das Durchschnittsalter beträgt 26; die Menschen sind viel
gesprächiger als beispielsweise die zurückhaltenden Burjaten, auch in der Stadt
ist es nicht schwer, mit jemandem in Kontakt zu kommen. Als erstes führt mich
Bilal in das mächtige sowjet-neoklassizistische Gebäude der Osher Staatlichen
Universität: während ich die beeindruckende Säulenfassade fotografiere,
berichtet er mir, wie viel die Prüfungen kosten und dass man schon ganz
ordentlich ein paar Scheine hinlegen muss, um Bestnoten zu bekommen. Ich
plaudere ein wenig mit Murubat Usmanova, der Direktorin des Zentrums für
Deutsche Sprache; ein Deutsch-Muttersprachler unterrichtet auch hier, sozusagen
ein Kollege von mir.
An allen Straßenecken wird frischer Popcorn verkauft. Bilal
erklärt mir, woran man Kirgisen von Usbeken unterscheiden kann – zwischen
beiden Volksgruppen war es 2010 in Osh zu blutigen Auseinandersetzungen
gekommen. Hier im Ferghana-Tal, dem kulturellen Zentrum Mittelasiens, sorgen
die künstlichen Grenzziehungen der unabhängig gewordenen Sowjetrepubliken nach
dem Wegfall von Moskau als Ordnungsmacht immer wieder für Spannungen. Auf dem
riesigen Basar probiere ich Kurut:
weiße, sehr salzig schmeckende Bällchen aus einer Art getrocknetem Joghurt.
Zigaretten werden zum Preis von 4 Som das Stück auch einzeln verkauft –ein
Feuerzeug liegt bereit zum sofortigen Anzünden – und lakritzfarbene Stangen in
kleinen Plastiktütchen entpuppen sich bei näherem Hinsehen als Naswaj, Kautabak, dessen mäusekotgroße
Kügelchen man sich zwischen Zunge und Zahnfleisch oder unter die Zunge klemmt (in
Russland ist der Verkauf von Naswaj
seit einigen Jahren verboten).
Beim Warten auf den Flug von Osh nach Moskau komme ich mit dem
Usbeken Umar ins Gespräch, der zu seinem Arbeitsplatz, einer
Schmelzkäseherstellungsfabrik, aufbricht. Was ich in Kirgistan mache? Urlaub?
Urlaub heißt doch Strand, Sonne und Hotels mit guter Bedienung, so wie in der
Türkei! Ach so, die Berge, ja, stimmt… Wer einen harten Alltag hat, sucht im
Urlaub Komfort und Sicherheit; wer aus dem gesättigten und bequemen Deutschland
kommt, möchte Abenteuer und freut sich über Unvorhergesehenes, so wie ich, der
eigentlich nach Tadschikistan wollte und statt dessen nun etwas über Kirgistan
erzählen kann - dank eines verpassten Anschlussfluges in Istanbul.
Der Suleiman-Too-Berg mitten in der Stadt Osh (oben); Kassiererin Gulmira setzt fürs Foto extra ihren Kalpak auf, die traditionelle kirgisische Kopfbedeckung (unten) |
Zigaretten sind auf dem Markt auch einzeln erhältlich, die schwarzen Stangen sind Kautabak (oben); mit Murubat Usmanova und Bilal im Zentrum für Deutsche Sprache an der Universität Osh |
Salzige Joghurtkügelchen (Kurut) auf dem Basar in Osh |