Der Baikal-See ist der
größte Alpensee der Erde (fast so lang wie das adriatische Meer und größer wie
Tirol) und wird von den anwohnenden Tungusen auch das „heilige Meer“ genannt,
weil sie Gebete an dasselbe richten und Opfer geloben, um sich eine günstige
Überfahrt zu sichern. Obwohl wegen der häufig auftretenden Stürme schwierig zu
beschiffen, ist der Baikal-See doch ein sehr wichtiges Glied im dem
Verkehrsleben zwischen China und Rußland (namentlich im Winter, wenn er von
Mitte December bis in den April gefroren ist).
Man kann die
Bevölkerung von Russisch-Asien in Eingeborne und Eingewanderte eintheilen. Die
ersteren, theils dem tatarischen, theils dem finnischen Sprachstamme angehörig,
scheiden sich in verschiedene Stämme, welche alle Nomaden sind, und von Jagd,
Fischfang und ihren Rentierherden leben. Sie sind größtentheils noch Heiden.
Die Eingewanderten sind theils freie Colonisten (darunter viele Deutsche),
welche in den Städten leben, teils russische Verbrecher; die schwersten sind zu
lebenslänglicher Arbeit in den Bergwerken verurtheilt; andere werden zur
Urbarmachung des Landes verwendet, oder sie müssen eine bestimmte Quantität von
Pelzen an die Regierung abliefern.
Aus: Lehrbuch der vergleichenden Erdbeschreibung, Wien 1882
Gorjatschinsk
Ein stürmischer Herbstabend am Baikalsee: schwere Wellen mit
weißen Schaumkronen rollen dem sandigen Strand entgegen und schlagen zerstiebend
an kleinen und größeren schwarzen Geröllbrocken nach oben. Die Steine sind von
einer dünnen Eisschicht eingeschlossen, glitzernde Eiszapfen hängen nach unten.
In etwa zwei Monaten, wenn die Bewegung des Wassers einer meterdicken, befahrbaren
Eisdecke gewichen ist, werden sich hier mannshohe gefrorene Auftürmungen gebildet
haben.
Wir unternahmen einen Ausflug nach Gorjatschinsk, wo auf dem
Gelände eines wohl sibirienweit bekannten Sanatoriums eine heiße Quelle der
Erde entspringt, in deren heilendem Schlamm die Kurgäste mit nackten Beinen
spazieren. Zuletzt war ich im letzten Sommer mit Mutter und Schwester
hiergewesen. Der Baikalstrand mit seinen
Dünen und knorzligen Lärchen ist an dieser Stelle besonders romantisch. Am
nächsten Morgen lag das Wasser still und friedlich vor unseren Augen, die
gerade aufgegangene Sonne beschien die Steilküste der Insel Olchon am anderen
Ufer. Zum ersten Mal sahen Niso, Maja und ich die Nerpa genannten Baikalrobbe: zwei tote, frisch an den Strand
gespülte Exemplare ohne jede Zeichen äußerer Verletzungen. Aus der Zeitung
erfuhren wir später von einem rätselhaften Massensterben, das größte der
letzten 30 Jahre. Baikalrobben halten sich hauptsächlich an den für Besucher
nicht ohne weiteres zugänglichen Ushkani-Inseln auf. Bis heute gilt als
ungeklärt, wie die Robben aus dem Weltmeer in den See gelangen und sich hier an
das Süßwasser anpassen konnten.
Im Bargusin-Tal
Ein frostiger Abend mit Sternenhimmel und minus 10 Grad im
Bargusin-Tal: wir lehnten uns an den prasselnden, weiß gekalkten Ofen in Tante
Maschas von frischen Farben glänzendem Holzhaus und genossen die lebendige
Wärme. Diesmal hatte Niso und mich eine Reise in das kleine burjatische Dorf
Bajangol geführt, in das abgelegene, von drei Seiten bergumschlossene
Bargusin-Tal im Norden Burjatiens. Besucherunterkünfte gibt es hier keine,
Touristen nur höchst selten; zum Glück lernten wir noch im Kleinbus die
rüstige, drahtige Burjatin Maria kennen, die uns gerne als ihre Gäste aufnahm
für zwei Nächte.
Als gebürtiger Sachse weckte eine Sächsisches Schloss oder Suvinisches
Sachsen genannte Felsformation im Bargusin-Tal nahe der Ortschaft Suvó mein
besonderes Interesse. Vielleicht hat einer der deutschen Sibirien-Forscher des
18. Jahrhunderts sich an die Sächsische Schweiz bei Dresden erinnert gefühlt
und ihr deshalb diesen Namen gegeben? Tatsächlich ähneln die aus der Steppe
emporragenden Gesteinsnadeln und –brocken an das heimische Elbsandsteingebirge.
Als wir in Bajangol waren, wurde im zentralen Klubhaus
gerade das 90-jährige Jubiläum der
Kolchose „Karl Marx“ gefeiert. Die Kolchose gibt es längst nicht mehr, die
Felder liegen überwiegend brach. Tante Mascha hat ihr Leben lang in der
Landwirtschaft gearbeitet, jetzt stehen ihre Ställe hinter dem Haus leer. Durch
die körperliche Tätigkeit ist sie abgehärtet und jung geblieben, die 58 Jahre
sah man ihr nicht an. Jeden Morgen
aufstehen und ans Werk, auch wenn es zwei Monate lang im Winter um die minus 40
Grad sind.
Zwei junge Burjaten, die auf ihren Pferden den staubigen Weg
dahingaloppierten, wollten unbedingt von mir fotografiert werden. Sie hätten
noch nie einen Touristen gesehen, der zu Fuß hier entlanggeht! Vom Wodka waren
sie bestens gelaunt; den Wunsch, mit ihnen zu trinken, konnte ich ihnen leider
nicht erfüllen.
Außer den Nerpas kommt
in der Republik auch die Bevölkerung um. Die Region ist in die Spitzenposition
der Selbstmord- und Alkoholismus-Statistik aufgerückt.
Schockierende Daten zu
Todesursachen wurden vom Gesundheitsministerium veröffentlicht. Die Statistik
zeigt, dass Burjatien den zweiten Platz aller russischen Regionen in der
Selbstmordrate belegt. Tragisch ist, dass auf diese Weise arbeitsfähige Bürger
von 18 bis 44 Jahren ihr Leben beenden.
Um Stress abzubauen,
greifen die Leute oft zum Glas. Das ist ein sicherer Schritt zum nächsten Elend
– dem Alkoholismus. Burjatien ist auch hier führend. Der Chefarzt des Republikanischen
Drogenbehandlungszentrums Andrej Micheev teilte mit, dass unsere Republik zu
den am meisten trinkenden des Landes gehört. 2016 wurde ein Rating der
nüchternsten russischen Regionen erstellt. Burjatien belegt Platz 79 von 85.“
Aus: Zeitung Molodezh
Burjatii, 1.11.2017
Das burjatische Dorf vor dem Hintergrund des Bargusin-Bergrückens (oben) mit dem frisch gestrichenen Haus von Tante Mascha (unten), in dem wir Unterkunft fanden |
Die Felsen des Suvinischen Sachsen im Bargusin-Tal |
Am Strand von Gorjatschinsk |
Eine tote Baikalrobbe (Nerpa) (oben), an der heißen Heilquelle (unten) |