Meine Freundin Niso ist in Tadschikistan geboren und dort
fünfzehn Jahre lang aufgewachsen. Seit ihrer Jugend war sie nie wieder dort
gewesen. Gern würde ich mit ihr im Sommer das kleine Land nördlich von Afghanistan
besuchen: das einzige der fünf zentralasiatischen „-stan“-Länder, dessen Einwohner nicht zu den
Turkvölkern gehören, sondern Indoeuropäer sind mit Pamir-Gebirge, den höchsten
Bergen der ehemaligen Sowjetunion und dem über siebentausend Meter hohen Pik
Kommunismus – eine Landschaft, bestimmt ganz nach meinem Geschmack. Dann würden
wir doch bestimmt auch ihre zahlreichen Verwandten besuchen, frage ich Niso.
Sie lacht. „Meinen Vater bringen wir in große Verlegenheit, den Leuten unser
Verhältnis zu erklären. In Tadschikistan gibt es nur verheiratete Frauen und
Prostituierte. Andere Modelle des Zusammenlebens sind unbekannt!“ Das soll uns
nicht von der Reise abhalten, dann schauen wir eben nicht beim Familienclan
vorbei, schlage ich vor, und meine Freundin ist einverstanden.
Niso lernt seit einiger Zeit mit mir Deutsch. In einem kleinen Wörterbuch schlägt sie selbst Vokabeln nach und schreibt sie ab. Ich selbst habe mir aus St. Petersburg einige Russisch-Lehrbücher schicken lassen und plane, hier an der Uni eine Sprachprüfung für Fortgeschrittene abzulegen.
Niso lernt seit einiger Zeit mit mir Deutsch. In einem kleinen Wörterbuch schlägt sie selbst Vokabeln nach und schreibt sie ab. Ich selbst habe mir aus St. Petersburg einige Russisch-Lehrbücher schicken lassen und plane, hier an der Uni eine Sprachprüfung für Fortgeschrittene abzulegen.
Vor über einem halben Jahr lud mich eine Fernstudentin ein,
sie und ihre Familie in einer kleinen Siedlung im Norden Burjatiens zu besuchen, in der
Nähe der Stadt Severobaikalsk, irgendwo im Nirgendwo der
unendlichen Taiga. Noch immer habe ich es nicht dahin geschafft, da die 400
Kilometer Luftlinie sich als unüberbrückbare Entfernung erweisen.
Als ich im Sommer 2008 dem Baikalsee meinen ersten Besuch
abstattete, entschied ich mich dafür, nicht mit der Transsibirischen Eisenbahn
in das bei Touristen recht beliebte Irkutsk zu fahren, sonden auf der Baikal-Amur-Magistrale
(BAM) nach Severobaikalsk an das Nordende des Sees. Obwohl die Stadt wie
Ulan-Ude zur Burjatien gehört, ist sie von den übrigen, südlicheren Regionen der
Republik kaum zu erreichen. Eine Straße vom Bargusin-Tal nach Norden durch die
Berge soll im Ansatz vorhanden sein, wurde aber nie wirklich befahrbar
ausgebaut. Die Reise mit dem Zug von Ulan-Ude dauert zwei Tage und schließt
einen riesigen Umweg nach Westen über Taischet ein, der Ort, wo die BAM von der
Transsib abzweigt. Ein kleines Flugzeug fliegt nur einmal pro Woche von
Ulan-Ude in den Norden. Bleibt der Weg über das Eis des Baikals, das ja im
Winter fleißig befahren wird – doch es scheint keine offizielle Trasse in
Längsrichtung auf dem See zu geben. So bleibt die Reise weiter auf meiner
Wunschliste.
Zurzeit habe ich Besuch von einem Couchsurfer aus Finnland. Niklas ist ein athletischer, blonder,
sehr sympathischer junger Mann und ehemaliger Ski-Leistungssportler. Er hat
seine Karriere beendet und sich – auf der Suche nach einem Sinn im Leben
jenseits von sportlichem Erfolgsdruck, wie er sagt – in Helsinki in den Zug gesetzt und ist
fünfeinhalb Tage nach Osten gefahren, mit einem Umstieg in Moskau. „Eigentlich
wissen wir Finnen fast nichts über Russland, obwohl es unser großer Nachbar ist.
Früher gab es Kommunismus, und der war schlecht. Damit erschöpfen sich die
Kenntnisse. Und die Meinungen über Russland sind sehr negativ, das ist das
Ergebnis unserer Medienpropaganda.“ Finnland gehörte vor der Oktoberrevolution
über 100 Jahre lang zum russischen Zarenreich, kämpfte im zweiten Weltkrieg auf
der Seite der Faschisten und hatte dann eine Art Mittlerstellung zwischen den
beiden Blöcken im Kalten Krieg inne.
„In gewisser Weise erinnern mich die Wälder hier schon an
meine Heimat“, meint Niklas, „aber alles, was von Menschen gebaut ist, sieht
komplett anders aus. Die Häuser sind irgendwie roh von außen, wenig einladend.
Und Straßenhunde gibt es in Finnland überhaupt keine.“
In Ulan-Ude darf Alkohol ab 21 Uhr abends nicht mehr
verkauft werden. Wer trinken will, findet aber trotzdem Wege. Ein Ausdruck an der Fensterscheibe der Straßenbahn informiert
über 54 Tote in der Stadt Irkutsk im Dezember 2016, die dadurch ums Leben
kamen, dass sie ein Bademittel als Alkoholersatz einnahmen. Weiter ist zu
lesen:
„Nach Angaben der russischen Verbraucherschutzbehörde sind
im Jahre 2015 in unserem Land durch Vergiftungen an spiritushaltigen Produkten
über 14000 Menschen umgekommen.
Wir bitten Sie eindringlich darum, die folgenden Mittel
nicht als alkoholhaltige Getränke zu gebrauchen:
- Brennspiritus
- Eau de cologne
- Parfümerieprodukte
- Glasreiniger
- Kühlflüssigkeit
- Bremsflüssigkeiten und anderes“
Der sibirische Winter ist völlig anders als der deutsche. Ein typischer Wintertag hier, das heißt blauer Himmel, strahlende Sonne, knirschender Schnee und Minusgrade, ob fünf, zehn oder zwanzig, ist egal, wenn man sich bewegt, fühlt es sich nicht kalt an. Am letzten Sonntag lief ich mit Niso und ihrer Freundin Olga wieder ein Stück auf der zugefrorenen Selenga entlang, einschließlich einer kleinen Bergbesteigung und einem Lagerfeuer, um Körper und Geist dynamisch zu erhalten. Wunderbares Sibirien!
Der sibirische Winter ist völlig anders als der deutsche. Ein typischer Wintertag hier, das heißt blauer Himmel, strahlende Sonne, knirschender Schnee und Minusgrade, ob fünf, zehn oder zwanzig, ist egal, wenn man sich bewegt, fühlt es sich nicht kalt an. Am letzten Sonntag lief ich mit Niso und ihrer Freundin Olga wieder ein Stück auf der zugefrorenen Selenga entlang, einschließlich einer kleinen Bergbesteigung und einem Lagerfeuer, um Körper und Geist dynamisch zu erhalten. Wunderbares Sibirien!
Niso beim Deutschlernen |
Märchenhaft schön: das Ufer der Selenga |