Kürzlich bekam ich eine Email von
meinem Kollegen aus der westsibirischen Stadt Tjumen. Der Schriftsteller Ilija Trojanow würde nächstes
Jahr zu einer Lesereise nach Russland kommen, ob ich nicht auch Lust hätte, ihn
in Ulan-Ude zu empfangen und eine Lesung zu organisieren? Ein berühmter Autor
zu Gast, warum nicht, antwortete ich erfreut. Meine Begeisterung schwand etwas,
als ich den Titel des Buches las, aus dem Trojanow vorlesen möchte: Macht und Widerstand lautet er. Als
westlicher Ausländer im heutigen Russland eine Veranstaltung mit diesem Titel
zu bewerben birgt ein gewisses Risiko; es geht zwar um die Zustände im
kommunistischen Bulgarien, aber manche Leute könnten es trotzdem falsch
auffassen – Westler, die zum Sturz von Putin aufrufen, den nächsten Maidan veranstalten wollen? Dann ergeht
es mir womöglich wie jener amerikanischen Doktorandin, die zum Verlassen des
Landes inclusive fünfjähriger Einreisesperre aufgefordert wurde, weil sie die
Burjaten zu ihrem „nationalen Selbstverständnis“ befragen wollte. Vielleicht
könnte man auf das Plakat schreiben „Trojanow liest aus seinem neuen Buch“,
ohne den Titel zu erwähnen? Ich muss die Sache noch einmal überdenken.
Am letzten Donnerstag kam ein
kleiner, runzliger Burjate mit leichter Alkoholfahne zu mir ins Büro mit dem
Auftrag, eine Wandtafel vor der Tür im Gang anzubringen: ein Brett in schickem
Design, das ich bei einer Reklameagentur in Auftrag gegeben hatte, mit dem
Namen meiner Organisation in goldenen Lettern und modernen Plastikfächern zum
Einstecken von Infoprospekten zum kostenlosen Mitnehmen. Der Mann, offensichtlich
verantwortlich für Reparaturen und Handwerkstätigkeiten im Haus, hatte eine
kleine Tasche mit ein paar Werkzeugen dabei. Nach ein paar Versuchen, eine
Schraube direkt mit der Hand in die Ziegelwand zu drehen, gab er kopfschüttelnd
auf. Wie wäre es mit einer Bohrmaschine, schlug ich vor. Die gäbe man ihm
nicht, er arbeite schließlich nur mit halber Stelle hier, bekam ich zur Antwort
und sah ihn wieder von dannen ziehen.
Dass Universitätsdozenten in
Russland wenig verdienen, ist bekannt, wie wenig genau, war mir bis vor kurzem
unklar. Zufällig fiel mein Blick auf eine im Lehrerzimmer ausliegende Liste, aus
der das Gehalt meiner Kollegen hervorgeht. Ein mit ganzer Stelle arbeitender
Dozent kommt auf 19000 Rubel monatlich, sofern er über einen Doktortitel
verfügt. Die Position der Lehrstuhlleitung wird mit 27000 Rubeln vergütet. Eine
Assistentin mit Dreiviertelstelle kommt auf knapp 7000. Man teile die Summe
durch 70 und denke daran, dass Lebensmittel, Kleidung und Haushaltswaren oft
ähnlich teuer sind wie in Deutschland –
unglaublich. Irgendwie kann ich auch verstehen, warum das Engagement der
Kollegen manchmal zu wünschen übrig lässt, warum manche mitten im Unterricht
zum Kaffeetrinken verschwinden, nachdem sie die Studenten mit einer Aufgabe
versorgt haben, warum kaum jemand pünktlich ist, einige mit Uralt-Lehrbüchern
arbeiten und kein Interesse haben, sich in neue Lehrwerke einzuarbeiten. Meine
Freundin Niso arbeitet bei einem Autoersatzteile-Händler und kommt auf 30000
Rubel monatlich, was als nicht schlecht gilt – sie hat allerdings auch eine
60-Stunden-Woche.
Ich habe Niso einen großen Wanderrucksack
und einen minusgradetauglichen Schlafsack besorgt – kein leichtes Unterfangen
hier, wo Geschäfte vom Typ Globetrotter selten, schlecht sortiert und meistens auf
Jagd und Fischerei spezialisiert sind. Unser Wochenenausflug führte uns wieder
vom Schlafenden Löwen aus am Ufer der
Selenga entlang, mit Zeltübernachtung auf einem malerischen Bergsattel. Abends trafen wir auf zwei Fischer am Lagerfeuer, die mit Netzen Omul fingen, den berühmten Baikal-Fisch, der zum Ablaichen den Fluss hinauf schwimmt - eigentlich verboten, aber irgendwovon muss man ja leben. Es wehte
ein kräftiger, frischer Wind, die Nacht war bewölkt und deshalb nicht allzu
kalt. Trotzdem verwandelte sich unser im Vorzelt gelagertes Wasser in Eis.
Gegen Morgen fielen die ersten ganz zarten und nach der Landung sofort wieder
verschwindenden Schneeflocken. Burjatien - was für ein weites, menschenleeres und schönes Land!
Hauswurz (Sempervivum) - ein häufig anzutreffender Steppenbewohner |
Ein Teil unseres Kollegiums im Lehrerzimmer; links Lukas, Praktikant aus der Schweiz