Auf dem Bahnhof in Ulan-Ude, kurz
bevor ich einen Fernzug nach Westen bestieg, drückte mir ein Mann
zentralasiatischen Aussehens 500 Rubel in die Hand und bat mich, einen Karton
mit zwei Autoscheinwerfern mitzunehmen. Sein Bruder würde diese in Novosibirsk
am Bahnsteig abholen. Es sei dringend, die Post bräuchte zu lange, und die
Zugbegleiter würden nichts mehr annehmen, wie es früher noch möglich war. Nach
kurzem Zögern willigte ich ein. Wo er herkäme? Aus Kirgisien, wohnt aber schon
lange in Russland und verkauft auf dem Narodnyj
rynok in der Nähe des Busbahnhofes Kleidung. Meine Freundin ist in
Tadschikistan geboren, meinte ich, wahrscheinlich, um seine Sympathie zu
gewinnen, das ist ja gleich um die Ecke dort. – Auf diese Weise übernahm ich
meinen ersten inoffiziellen Kurierdienst mit der Bahn.
Auf einer fast 40-stündigen
Zugfahrt nach Westen zogen endlose, leuchtend gelb belaubte Birkenwälder und
Lärchen an mir vorbei. Auf einer Anhöhe kurz vor Taischet, dort, wo die BAM von
der Transsibirischen Magistrale abzweigt, gab es dann eine Überraschung: der
erste Schnee! Und das am ersten Oktober, wo astronomisch gesehen doch gerade
mal der Herbst begonnen hat.
In Novosibirsk, wo ein Treffen
mit in anderen sibirischen Städten arbeitenden deutschen Kulturmittlern
anstand, quartierte ich mich als Gast bei der Familie meiner Kollegin Anja ein.
Sie wohnt in Akademgorodok, ein Stadtteiles mitten im Wald, als
Akademikersiedlung in den 50er Jahren gegründet und mit einer Vielzahl
berühmter Institute. Am Bahnhof befindet sich ein Eisenbahnmuseum mit historischen
Loks und Waggons unter freiem Himmel: ein Wagen der 4. Klasse aus den 30er
Jahren mit zwei Kohleöfen inmitten des Fahrgastraumes, sowjetische Wagen aus
DDR-Produktion der 70er (Ammendorfer Waggonwerk) und Gefängniswagen mit
Abteilen ganz ohne Fenster. Wahrscheinlich machen viele europäische
Transsib-Reisende einen Abstecher hierher, was den viermal teureren
Ausländer-Eintrittspreis erklärt, den ich aber umging, da es mir gelang, akzentfrei
auf russisch „eine Erwachsenenkarte, bitte“ zu sagen.
Anlässlich eines Empfanges zum
Tag der deutschen Einheit konnte ich wieder einmal den deutschen Konsul
erleben, der die deutsch-russische Freundschaft trotz aller politischen
Differenzen beschwor. Der Novosibirsker Bürgermeister antwortete in seiner Rede
in einem gleichen versöhnlichen Tonfall. Noch am Abend des 3. Oktober bestieg
ich wieder den Zug Richtung Osten. Westlich des Baikals hatte sich die
Landschaft in nur zwei Tagen komplett gewandelt und war jetzt weiß mit
geschlossener Schneedecke. Der Winter ist die Jahreszeit, die man wohl am
ehesten mit Sibirien verbindet; hier scheint er schon Anfang Oktober Einzug zu
halten.