„Hello! I am Thomas from Germany. I would like to talk to
you in English today. Maybe you want to ask me some questions…“ 15 neugierige
junge Augenpaare sind staunend auf mich gerichtet, als wäre ich eine Art
Außerirdischer, der sich von seinem Planeten in ein russisches Dorf verirrt
hat.
Die Siedlung Tataúrovo liegt eine Fahrtstunde nördlich von
Ulan-Ude, malerisch am Fluss Selenga. Meine
Bekannte Irina hatte mich an ihre Schule in den Englischunterricht eingeladen.
Seit Beginn dieses Schuljahres arbeitet sie dort und ist dafür aus der Stadt
nach Tataúrovo gezogen, um nicht jeden Tag pendeln zu müssen. Ihr Arbeitgeber,
die Schule, hat ihr in einem der dreigeschossigen Plattenbauten kostenlos eine
geräumige Wohnung zur Verfügung gestellt, ein entscheidendes Plus zusätzlich zu
dem geringen Lehrergehalt.
Ich besuchte den Unterricht in der 11., 7. und 4. Klasse und
war ein absoluter Stargast, für viele wohl die erste Begegnung mit einem westlichen
Ausländer überhaupt. Russische Schüler sehen in ihren Schuluniformen sehr
schick aus, auch die Viertklässler tragen schon kleine Anzüge! Die
Siebtklässler standen vor jeder Antwort von ihrem Platz auf, was mich sehr
irritierte, aber hier zu den Höflichkeitskonventionen gehört. Alle waren sehr
neugierig und versuchten mir in gebrochenem Englisch Fragen zu stellen; ich tat
so, als ob ich kein Russisch verstehe und erzählte ihnen, wie wichtig es sei
für sie im späteren Leben, eine Fremdsprache zu erlernen.
Die stellvertretende Direktorin schenkte mir als Dank für
meinen Besuch einen großen Beutel mit Pinienkernen, frisch aus der Taiga. Wie
wäre es mit der Einführung von Deutsch als zweiter Fremdsprache, schlug ich vor
und sie versprach, mal darüber nachzudenken. Irina lud mich nach den drei
Unterrichtsstunden in ihre Wohnung zum Tee ein. Der Blick aus dem Fenster fällt
auf die neue, schicke Dorfkirche und waldbedeckte Hügel. In Tataurovo leben nur
Russen, Irina ist hingegen Burjatin.
Es macht ihr Spaß, in einem russischen
Umfeld zu arbeiten, meinte sie, die Russen seien offener und direkter als die
Angehörigen ihres eigenen Volkes, die doch ihre Emotionen eher zurückhalten und
aus denen man oft nicht so schlau werde. Mit Menschen zu arbeiten macht ihr
mehr Spaß als ihre letzte Tätigkeit in einem Büro, wenn auch 30 Unterrichtsstunden pro Woche schon
ganz schön ermüdend sind. – Den Rückweg trat ich an mit einer Flasche Kuhmilch
von einem Dorfgroßmütterchen, frisch vom Euter.