Der
Montagmorgen beginnt für mich jede Woche mit Bauchschmerzen: meine erste Unterrichtsstunde
habe ich in einer Gruppe von lustlosen Journalistik-Studenten. Sie sind
entweder nicht anwesend, oder, wenn sie anwesend sind, dann wollen sie nichts
und können nichts. Von den sechs Frauen sitzen zwei vor mir, und zwar jedes Mal
zwei andere. Mit so einer Gruppe zu arbeiten ist für einen Pädagogen eine
Strafe, denke ich frustriert und bin ratlos, was ich wohl neunzig Minuten lang
anstellen soll. Mir etwas Interessantes auszudenken ist jedenfalls unmöglich.
„Wollen Sie
nach dem Studium bei einer Zeitung arbeiten oder beim Fernsehen“, hatte ich sie
einmal gefragt.
„Wir wollen
überhaupt keine Journalisten werden“, hatten sie geantwortet, „der Unterricht
der journalistischen Fächer hier an der Uni ist so schlecht, dass uns die Lust
vergangen ist.“
Weil der
Unterricht schlecht ist, sind Sie unmotiviert, und weil Sie unmotiviert sind,
ist der Unterricht schlecht, hatte ich darauf gedacht, aber nicht gesagt.
Am Abend vor
dem Tag der Deutschen Einheit stehe
ich am Bahnsteig in Ulan-Ude, in der Hand ein Zugticket nach Irkutsk, auf dem
wie auf allen russischen Zugfahrkarten neuerdings die Ortszeiten angegeben sind
– was das umständliche Umrechnen von Moskauer Zeit erspart – und schaue dem Zug,
in dem ich sitzen sollte, beim Abfahren zu. Die Zugbegleiter an den Türen jedes
Wagens steigen nach oben und klappen die Treppchen ein; während sie noch in der
Öffnung stehen und ihr kleines grünes Fähnchen heraushalten, setzt sich das
stählerne Ungetüm langsam in Bewegung. Von Irkutsk wollte ich nach Novosibirsk
fliegen, wo das deutsche Konsulat zu einem feierlichen Empfang eingeladen hatte.
We hope you are doing great today!, hatte
ich eine Email von der amerikanischen Flugbuchungs-Seite gelesen, während der
Zug einfuhr. We do apologize to inform
you that your flight has been canceled by the airline. Flug ohne Angabe von
Gründen gestrichen! Ich mache mich
enttäuscht auf den Heimweg. Die Zugfahrt nach Novosibirsk würde anderthalb Tage
dauern. Bis dahin wäre der Tag der Deutschen Einheit schon wieder vorbei.
Mit Niso und
Maja besteige ich einen markanten Hügel in der Steppe bei Ivolginsk, auf dem
mit weißen Steinen das buddhistische Gebet Om
Ma Ne Bad Me Hum geschrieben steht. Ich lege mich auf die Steine und
genieße einen der letzten richtig sonnigen Tage. Maja bereitet mir ein weiches
Bett aus Steppenroller-Pflanzen.
Etwas weiter an einer Felswand zelebrieren zwei murmelnde und räuchernde
Gestalten ein schamanistisches Ritual. An einem anderen freien Tag fahren wir
die Klosterrunde: vorbei am
Troizko-Selenginski-Kloster an der Selenga, in dessen Innenhof Maja den ersten
dicken, pappenden Schnee zu einer großen Kugel rollt, und weiter zum
Spaso-Preobrazhenski-Kloster in Posolsk, vor dessen Mauern der aufgewühlte,
unruhige Baikal hohe braune Wellen schlägt. In der kleinen Kapelle, vor der
eine kleine Gedenktafel für den im Jahre 1650 an dieser Stelle von Mongolen ermordeten
russischen Botschafter angebracht ist, zu dessen Ehren das Kloster gegründet
wurde, ist außer uns kein Mensch – ich singe Dona nobis pacem und genieße die Akustik. In einem Wäldchen mit
Blick auf den See entzünden wir ein Lagerfeuer.