Freitag, 19. Oktober 2018

Heiraten in Russland


Am siebzehnten Oktober haben meine Freundin Niso und ich geheiratet, genau zwei Jahre und sieben Monate, nachdem wir zusammengekommen sind. Am Abend vor der Heirat blättern wir in der  Hochglanzbroschüre zum Thema „Hochzeit“, die uns vor einem Monat ausgehändigt wurde, als wir den Termin beim Standesamt vereinbart hatten, und lesen auf der ersten Doppelseite zwei Grußworte, verfasst von Vertretern der beiden größten Religionen in Burjatien.
„Grundlage eines langen Eheglücks ist die Weisheit“, schreibt der Lama, der in leuchtend roten und orangen Kleidern von seinem Porträtfoto blickt. „Ist die Grundlage der Ehe von geistiger Natur, dann wird die Beziehung eine ewige werden, ähnlich der Lotosblume, welcher der Schmutz der materiellen Welt nichts anhaben kann.“
„Die orthodoxe Kirche schlägt das Modell einer christlichen Familie vor“, lesen wir bei dem in düsteres Schwarz gekleideten Metropoliten Saawatij. „Frauen, folgt euren Männern nach wie dem Herrn, denn der Mann ist das Haupt der Familie, wie Christus das Haupt der Kirche ist; wie die Kirche sich Christus unterordnet, so auch die Frau dem Manne in allem.“
Würden wir mit einer religiösen Institution heiraten, dann wohl lieber mit den Buddhisten, stellen Niso und ich fest und müssen lachen.
Das Standesamt Ulan-Ude befindet sich – wahrscheinlich vorläufig, während das eigentliche Gebäude renoviert wird – im Erdgeschoss eines tristen Plattenbaus. Um neun Uhr morgens sind wir zur Stelle. Nachdem festgestellt wurde, dass kein Übersetzer nötig ist, bittet uns die Standesbeamte in den repräsentativen Raum mit dem doppelköpfigen russischen Adler an der Wand, hält eine kurze Ansprache und erklärt uns zu Mann und Frau.
„Ihnen als Oberhaupt der Familie überreiche ich die Heiratsurkunde“, sagt sie und händigt mir das Dokument aus, auf der einen Seite in Russisch und auf der Rückseite auf Burjatisch abgefasst, das allerdings weder meine Frau noch ich verstehen.
„Und der Ehefrau als Hüterin der häuslichen Heimstätte gebe ich den Pass mit Stempel zurück“, bekommt Niso zu hören und nimmt ihren Inlands-Pass in Empfang, in dem sich nun auf der Seite „Familienstand“ ein Stempel über die Registrierung der Eheschließung befindet. Der nun folgende Teil einer typisch russischen Hochzeit, das Durch-die-Stadt-Ziehen mit lärmendem, trinkendem Gefolge, Fotografiertwerden vor dem Hintergrund von Opernhaus und Leninkopf und abendlichem Versacken an übervoll gedeckten Restauranttafeln, ist nichts für uns; wir heiraten ohne große Party ähnlich meinem Freund Robert, auf dem Kühlschrank in dessen Berliner WG ich eines schönen Tages die standesamtliche Urkunde erblickte. Still und unspektakulär fahren Niso und ich nach Hause und dann in die Musikschule, wo Maja einen kleinen Auftritt mit dem Kinderchor hat und die „Musikanten-Weihe“ bekommt.
Die mit einer russisch-deutschen Heirat verbundene Bürokratie ist etwa gleich aufwändig, ob man nun in Russland oder in Deutschland heiratet. Russische Standesämter verlangen ein Ehefähigkeitszeugnis des ausländischen Partners, in Deutschland müsste man eine Befreiung von der Vorlage des Ehefähigkeitszeugnisses für den russischen Partner beantragen. Deutlich einfacher soll es in Drittländern wie zum Beispiel Dänemark sein. Die Kombination „Frau aus Russland und deutscher Mann“ ist wohl wesentlich häufiger als umgekehrt. Bei youtube gibt es stundenlange Lehrvideos für die russischsprachige Damenwelt -  „Heiraten nach Europa mit Olga Schröder“ und so ähnlich – in denen erklärt wird, was zu tun ist, um das Eheglück in Westeuropa zu finden; rein statistisch kommen in Russland auf sechs Frauen nur fünf Männer.
In Russland wird der Ehering an der rechten Hand getragen. Ich finde das ungewöhnlich – die rechte ist doch die Arbeitshand, die Hand des Alltags. Wir tragen ihn an der linken.