Sonntag, 12. März 2017

Blumen, Bürokratie und Bonbons



Der Frauentag am 8. März ist in Russland ein arbeitsfreier Feiertag. Am Vorabend wollte ich in einem 24 Stunden geöffneten großen Pflanzenladen eine Rose für meine Freundin kaufen und fand mich in einer langen Männerschlange wieder: Blumen zu schenken ist an diesem Tag für die Herren ein Muss. In den Fachgeschäften Ulan-Udes sind die Schnittblumen in einer eigens klimatisierten, durch Glas vom übrigen Verkaufsraum abgetrennten Abteilung untergebracht. In meiner Wohnung hatte ich bisher überhaupt kein Glück mit Zimmerpflanzen: ob Alpenveilchen, Christusdorn oder Elefantenfuß – nichts hält sich länger. Lediglich meine Palmenstecklinge von der Krim stehen unverwüstlich, noch.

Die beiden Projekte für Studenten, die ich neben dem Unterrichten regelmäßig betreibe – Chor und „Deutscher Abend“ – setze ich auch in diesem Semester fort, mangels Teilnehmern allerdings hart an der Grenze zur Nichtexistenz: zu den wöchentlichen Chorproben kommen mit Mühe zehn Leute zusammen, und zum letzten Deutschen Abend kamen ganze vier. Warum? Denen, die kommen, macht es Spaß und alle versprechen stets, beim nächsten Mal wieder dabeizusein. „Es wird Zeit, dass du Deine deutsche Toleranz abstellst und zum russischen Totalitarismus übergehst“, meinte Zhargal zu mir, ein junger Burjate, dessen Traum vom Studium in Deutschland leider nicht geklappt hat. Er ist einer der wenigen zuverlässigen Chormitglieder. „Wenn Deine Studis nicht zum Chor kommen, gibt’s keine gute Note im Unterricht. Ohne Erscheinen beim Deutschen Abend keine bestandene Prüfung, fertig. So geht das in Russland. Mit deiner westlichen Höflichkeit kommst du nicht weiter!“ Ich versuche es dennoch. Es müsste doch möglich sein, Menschen durch Begeisterung zu gewinnen und nicht durch Druck. 

Nebenbei beschäftigen mich verschiedene bürokratische Themen, interessante und weniger spannende. Bei welchem Finanzamt mache ich als Deutscher ohne festen Wohnsitz in Deutschland meine Steuererklärung? Darf ich an den Bundestagswahlen teilnehmen? Wie bekommt man als Russe am besten ein deutsches Visum? Wenn ich Niso im Sommer meine Heimat zeigen möchte, dann muss diese Frage gelöst werden. Das für ganz Sibirien und den russischen Fernen Osten zuständige deutsche Konsulat befindet sich in Novosibirsk (anderthalb Eisenbahntage von Ulan-Ude entfernt). Wer nur ein Visum für einen Kurzaufenthalt braucht, kann dieses – ein für viele Länder Europas gültiges Schengen-Visum – in einem Visa-Zentrum in Irkutsk beantragen (einen halben Eisenbahntag entfernt). Persönliches Erscheinen ist unabdingbar, um Fingerabdrücke abzugeben, zumindest vor dem ersten Visum. Für die deutsche Seite ist die sogenannte Rückkehrwilligkeit ein wichtiges Kriterium: der Antragsteller muss zeigen, was ihn in seiner russischen Heimat hält: Wohneigentum, eine gut bezahlte Arbeit, kleine Kinder – nicht dass er etwa in Deutschland zu bleiben beabsichtigt. Wer eine touristische Reise plant und sich von keinem Bekannten einladen lässt, muss eine Hotelbuchung vorzeigen.
Deutschland steht in dem Ruf, bei der Erteilung von Schengen-Visa strenger als andere europäische Länder zu sein. Wer besonders schlau sein möchte und das Hotelzimmer nur pro forma bestellt, die Buchung aber nach der Visaerteilung annulliert, muss damit rechnen, dass ihm am Flughafen trotzdem die Einreise verweigert wird, weil die Gültigkeit der Reservierung überprüft wird. Viele Russen beantragen deshalb ein Schengen-Visum in einem anderen europäischen Land und reisen dann zum Beispiel über Österreich, Spanien oder Tschechien nach Deutschland ein, was keinen kümmert, aber eigentlich nicht legal ist: das Land, welches das Schengenvisum ausstellt, sollte auch Hauptreiseziel sein.
Im letzten Jahr hatte ich auf einem Treffen mit Kollegen in Novosibirsk den Leiter der dortigen Visaabteilung kennengelernt. Was der sagte, macht wiederum Mut: „Wir haben kein Interesse daran, das Verfahren zu verkomplizieren und versuchen, die Visa so unbürokratisch und schnell wie möglich zu erteilen. Unsere Ablehnungsquote beträgt nur 2,5 Prozent, das ist extrem wenig.“ Wenn das nicht Hoffnung gibt! Gern würde ich im Sommer mit meiner Freundin direkt über Berlin einfliegen, ohne zuvor eine Runde durch Tschechien oder Spanien drehen zu müssen.

Wenn mir Verwandte aus Deutschland ein Päckchen schicken, dann kann dieses recht lange unterwegs sein. Auf Bücherpakete, die mir an den Arbeitsplatz gesendet werden, warte ich auch schon einmal ein halbes Jahr. Die Post von Sibirien nach Deutschland ist schneller, in der Regel sind die Sendungen nach drei Wochen da. Neulich habe ich für meinen Bruder ein Geburtstagspäckchen  gepackt. „Schokolade, Bonbons, Tabak“, schrieb ich wahrheitsgemäß auf die kleine grüne Zollerklärung. „Tabak verschicken wir nicht, genauso wie Wein und Nüsse“, wies mich die Postbeamte barsch ab. „Habe ich aber schon oft gemacht“, meinte ich und gab ihr die Sendung mit einem neu ausgefüllten Zettel, auf dem nunmehr „Schokolade und Bonbons“ stand.
 „Jetzt müssen Sie den Tabak auch herausnehmen!“ Die Annahme wurde verweigert.
„Arbeiten Sie beim Zoll oder was?“ Ich war genervt. Am nächsten Tag gab ich das Päckchen bei einer anderen Mitarbeiterin auf.