Der Frauentag am 8. März ist in
Russland ein arbeitsfreier Feiertag. Am Vorabend wollte ich in einem 24 Stunden
geöffneten großen Pflanzenladen eine Rose für meine Freundin kaufen und fand
mich in einer langen Männerschlange wieder: Blumen zu schenken ist an diesem
Tag für die Herren ein Muss. In den Fachgeschäften Ulan-Udes sind die
Schnittblumen in einer eigens klimatisierten, durch Glas vom übrigen
Verkaufsraum abgetrennten Abteilung untergebracht. In meiner Wohnung hatte ich
bisher überhaupt kein Glück mit Zimmerpflanzen: ob Alpenveilchen, Christusdorn
oder Elefantenfuß – nichts hält sich länger. Lediglich meine Palmenstecklinge
von der Krim stehen unverwüstlich, noch.
Die beiden Projekte für
Studenten, die ich neben dem Unterrichten regelmäßig betreibe – Chor und
„Deutscher Abend“ – setze ich auch in diesem Semester fort, mangels Teilnehmern
allerdings hart an der Grenze zur Nichtexistenz: zu den wöchentlichen
Chorproben kommen mit Mühe zehn Leute zusammen, und zum letzten Deutschen Abend
kamen ganze vier. Warum? Denen, die kommen, macht es Spaß und alle versprechen
stets, beim nächsten Mal wieder dabeizusein. „Es wird Zeit, dass du Deine
deutsche Toleranz abstellst und zum russischen Totalitarismus übergehst“,
meinte Zhargal zu mir, ein junger Burjate, dessen Traum vom Studium in
Deutschland leider nicht geklappt hat. Er ist einer der wenigen zuverlässigen
Chormitglieder. „Wenn Deine Studis nicht zum Chor kommen, gibt’s keine gute
Note im Unterricht. Ohne Erscheinen beim Deutschen Abend keine bestandene
Prüfung, fertig. So geht das in Russland. Mit deiner westlichen Höflichkeit
kommst du nicht weiter!“ Ich versuche es dennoch. Es müsste doch möglich sein,
Menschen durch Begeisterung zu gewinnen und nicht durch Druck.
Nebenbei beschäftigen mich verschiedene
bürokratische Themen, interessante und weniger spannende. Bei welchem Finanzamt
mache ich als Deutscher ohne festen Wohnsitz in Deutschland meine
Steuererklärung? Darf ich an den Bundestagswahlen teilnehmen? Wie bekommt man
als Russe am besten ein deutsches Visum? Wenn ich Niso im Sommer meine Heimat
zeigen möchte, dann muss diese Frage gelöst werden. Das für ganz Sibirien und
den russischen Fernen Osten zuständige deutsche Konsulat befindet sich in
Novosibirsk (anderthalb Eisenbahntage von Ulan-Ude entfernt). Wer nur ein Visum
für einen Kurzaufenthalt braucht, kann dieses – ein für viele Länder Europas
gültiges Schengen-Visum – in einem
Visa-Zentrum in Irkutsk beantragen (einen halben Eisenbahntag entfernt).
Persönliches Erscheinen ist unabdingbar, um Fingerabdrücke abzugeben, zumindest
vor dem ersten Visum. Für die deutsche Seite ist die sogenannte Rückkehrwilligkeit ein wichtiges
Kriterium: der Antragsteller muss zeigen, was ihn in seiner russischen Heimat
hält: Wohneigentum, eine gut bezahlte Arbeit, kleine Kinder – nicht dass er
etwa in Deutschland zu bleiben beabsichtigt. Wer eine touristische Reise plant
und sich von keinem Bekannten einladen lässt, muss eine Hotelbuchung vorzeigen.
Deutschland steht in dem Ruf, bei
der Erteilung von Schengen-Visa strenger als andere europäische Länder zu sein.
Wer besonders schlau sein möchte und das Hotelzimmer nur pro forma bestellt,
die Buchung aber nach der Visaerteilung annulliert, muss damit rechnen, dass
ihm am Flughafen trotzdem die Einreise verweigert wird, weil die Gültigkeit der
Reservierung überprüft wird. Viele Russen beantragen deshalb ein Schengen-Visum
in einem anderen europäischen Land und reisen dann zum Beispiel über
Österreich, Spanien oder Tschechien nach Deutschland ein, was keinen kümmert,
aber eigentlich nicht legal ist: das Land, welches das Schengenvisum ausstellt,
sollte auch Hauptreiseziel sein.
Im letzten Jahr hatte ich auf
einem Treffen mit Kollegen in Novosibirsk den Leiter der dortigen Visaabteilung
kennengelernt. Was der sagte, macht wiederum Mut: „Wir haben kein Interesse
daran, das Verfahren zu verkomplizieren und versuchen, die Visa so
unbürokratisch und schnell wie möglich zu erteilen. Unsere Ablehnungsquote
beträgt nur 2,5 Prozent, das ist extrem wenig.“ Wenn das nicht Hoffnung gibt! Gern
würde ich im Sommer mit meiner Freundin direkt über Berlin einfliegen, ohne
zuvor eine Runde durch Tschechien oder Spanien drehen zu müssen.
Wenn mir Verwandte aus
Deutschland ein Päckchen schicken, dann kann dieses recht lange unterwegs sein.
Auf Bücherpakete, die mir an den Arbeitsplatz gesendet werden, warte ich auch
schon einmal ein halbes Jahr. Die Post von Sibirien nach Deutschland ist
schneller, in der Regel sind die Sendungen nach drei Wochen da. Neulich habe
ich für meinen Bruder ein Geburtstagspäckchen
gepackt. „Schokolade, Bonbons, Tabak“, schrieb ich wahrheitsgemäß auf
die kleine grüne Zollerklärung. „Tabak verschicken wir nicht, genauso wie Wein
und Nüsse“, wies mich die Postbeamte barsch ab. „Habe ich aber schon oft gemacht“,
meinte ich und gab ihr die Sendung mit einem neu ausgefüllten Zettel, auf dem
nunmehr „Schokolade und Bonbons“ stand.
„Jetzt müssen Sie den Tabak auch
herausnehmen!“ Die Annahme wurde verweigert.
„Arbeiten Sie beim Zoll oder
was?“ Ich war genervt. Am nächsten Tag gab ich das Päckchen bei einer anderen
Mitarbeiterin auf.