Vor einiger Zeit kaufte ich in
einem kleinen Obst- und Gemüseladen in der Nähe ein. Der Verkäufer hatte eine
südländische Hautfarbe und sprach Russisch mit merklichem Akzent. Wir tauschten
uns über unsere Herkunftsländer aus. Es erwies sich, dass er aus Aserbaidschan
kommt. „Oh,“ rief ich erfreut, „im letzten Sommer war ich ganz bei Ihnen in der
Nähe, in Armenien. Schöne Gegend, der Kaukasus!“ Ohne auf meine freudigen
Reiseerinnerungen zu reagieren, legte der Verkäufer die von mir gewünschten Äpfel
aus Krasnodar, Birnen aus Argentinien und Aprikosenkerne aus Usbekistan auf die
Waage. Nach Verlassen des Geschäftes fiel mir ein, dass Aserbaidschaner nicht unbedingt begeistert
sind, wenn sie von Armenien hören, schließlich befinden sich beide Länder
offiziell im Kriegszustand. Nun, der Mann wird es einem Deutschen nicht
verübeln, wenn der nicht so genau weiß, wer im Völkergemisch des Kaukasus mit
wem gut kann und wer nicht.
Als ich mich neulich in einem
anderen Gemüsegeschäft mit Kartoffeln versorgen wollte, war die Verkäuferin
hinter dem Tresen auch aus Asherbaidschan. Ich kannte die Frau sogar – zusammen
mit ihrem Sohn Tural hatte sie mich im Büro aufgesucht.
„Thomas von der Universität! Sie
kommen wie gerufen! Mein Sohn hat da noch einige Fragen an Sie… Sie wissen ja,
er ist Flugzeugingenieur, jetzt will er noch in Deutschland studieren… Er lernt
seit ein paar Wochen Deutsch, nimmt Einzelunterricht… Kann Tural sich da jetzt
schon bewerben? Wohin muss er denn im Herbst die Dokumente schicken?“
Zuerst müsse er ziemlich gut
Deutsch oder Englisch können, ehe er sich an einer deutschen Uni bewirbt, das
geht nicht ganz so schnell, meinte ich und verlangte fünf Kilo Kartoffeln.
„Mein Sohn wollte auch erst
Englisch lernen, aber ich habe ihm gesagt, Deutsch, nur Deutsch! Dann bewirbt
er sich also noch nicht im Herbst?“
Technische Studiengänge könne man
durchaus auch auf Englisch bei uns studieren, klärte ich sie auf und bat um das
Wechselgeld, auf den 100-Rubel-Schein verweisend, den ich ihr hingelegt hatte.
„Ach was, Sie müssen nicht zahlen!
Tural kommt nächste Woche zu Ihnen ins Büro, dann helfen Sie ihm weiter, ja? Er
arbeitet jetzt vorübergehend bei den Wasserwerken, und naja, ich stehe jetzt
hier, eigentlich bin ich Mathematiklehrerin…“
Gerne würde ich Ihren Sohn
beraten und ihm zeigen, was es so für Möglichkeiten gibt in Deutschland,
antwortete ich, aber natürlich könne ich ihm keinen Studienplatz verschaffen.
„Hier, nehmen Sie noch ein paar
Mandarinen dazu! Mein Sohn wird Sie nächste Woche anrufen!“ Mit kostenloser
Verpflegung ausgestattet trat ich den Heimweg an.
Der Nüsseverkäufer heute in der
großen Halle des zentralen Marktes verkaufte mir eine leckere Nussmischung,
Herkunft: Tadschikistan. Ob er denn auch von dort käme, wollte ich wissen.
„Ja“, gab er mit unsicherer Stimme zur Antwort und senkte den Blick. „Toll,
meine Freundin kommt von dort!“, rief ich und nahm gleich noch ein zweites
halbes Kilo dazu.
Nach der kleinen Begegnung beim
Nüssekauf erinnerte ich mich an einen Artikel in der „Moskauer Deutschen Zeitung“
(MDZ) über einen tadschikischen Arbeitsmigranten in Moskau. Viele Bewohner der
ehemaligen kaukasischen und zentralasiatischen Sowjetrepubliken arbeiten in
Russland, wo die wirtschaftliche Situation immer noch vergleichsweise besser
ist, und schicken das Geld nachhause zu ihrer Familie. Manche, wie Niso, sind
schon seit Jahrzehnten hier und gut integriert. Andere werden als Konkurrenz
auf dem Arbeitsmarkt wahrgenommen und ein wenig wie Menschen zweiter Klasse
behandelt. Mehr als 10% aller Tadschiken leben in Russland, schreibt die MDZ,
ihre Geldüberweisungen in die Heimat machen 36% des tadschikischen
Bruttoinlandsproduktes aus.