Mittwoch, 22. März 2017

Einkäufe



Vor einiger Zeit kaufte ich in einem kleinen Obst- und Gemüseladen in der Nähe ein. Der Verkäufer hatte eine südländische Hautfarbe und sprach Russisch mit merklichem Akzent. Wir tauschten uns über unsere Herkunftsländer aus. Es erwies sich, dass er aus Aserbaidschan kommt. „Oh,“ rief ich erfreut, „im letzten Sommer war ich ganz bei Ihnen in der Nähe, in Armenien. Schöne Gegend, der Kaukasus!“ Ohne auf meine freudigen Reiseerinnerungen zu reagieren, legte der Verkäufer die von mir gewünschten Äpfel aus Krasnodar, Birnen aus Argentinien und Aprikosenkerne aus Usbekistan auf die Waage. Nach Verlassen des Geschäftes fiel mir ein, dass  Aserbaidschaner nicht unbedingt begeistert sind, wenn sie von Armenien hören, schließlich befinden sich beide Länder offiziell im Kriegszustand. Nun, der Mann wird es einem Deutschen nicht verübeln, wenn der nicht so genau weiß, wer im Völkergemisch des Kaukasus mit wem gut kann und wer nicht.

Als ich mich neulich in einem anderen Gemüsegeschäft mit Kartoffeln versorgen wollte, war die Verkäuferin hinter dem Tresen auch aus Asherbaidschan. Ich kannte die Frau sogar – zusammen mit ihrem Sohn Tural hatte sie mich im Büro aufgesucht.
„Thomas von der Universität! Sie kommen wie gerufen! Mein Sohn hat da noch einige Fragen an Sie… Sie wissen ja, er ist Flugzeugingenieur, jetzt will er noch in Deutschland studieren… Er lernt seit ein paar Wochen Deutsch, nimmt Einzelunterricht… Kann Tural sich da jetzt schon bewerben? Wohin muss er denn im Herbst die Dokumente schicken?“
Zuerst müsse er ziemlich gut Deutsch oder Englisch können, ehe er sich an einer deutschen Uni bewirbt, das geht nicht ganz so schnell, meinte ich und verlangte fünf Kilo Kartoffeln.
„Mein Sohn wollte auch erst Englisch lernen, aber ich habe ihm gesagt, Deutsch, nur Deutsch! Dann bewirbt er sich also noch nicht im Herbst?“
Technische Studiengänge könne man durchaus auch auf Englisch bei uns studieren, klärte ich sie auf und bat um das Wechselgeld, auf den 100-Rubel-Schein verweisend, den ich ihr hingelegt hatte.
„Ach was, Sie müssen nicht zahlen! Tural kommt nächste Woche zu Ihnen ins Büro, dann helfen Sie ihm weiter, ja? Er arbeitet jetzt vorübergehend bei den Wasserwerken, und naja, ich stehe jetzt hier, eigentlich bin ich Mathematiklehrerin…“
Gerne würde ich Ihren Sohn beraten und ihm zeigen, was es so für Möglichkeiten gibt in Deutschland, antwortete ich, aber natürlich könne ich ihm keinen Studienplatz verschaffen.
„Hier, nehmen Sie noch ein paar Mandarinen dazu! Mein Sohn wird Sie nächste Woche anrufen!“ Mit kostenloser Verpflegung ausgestattet trat ich den Heimweg an.

Der Nüsseverkäufer heute in der großen Halle des zentralen Marktes verkaufte mir eine leckere Nussmischung, Herkunft: Tadschikistan. Ob er denn auch von dort käme, wollte ich wissen. „Ja“, gab er mit unsicherer Stimme zur Antwort und senkte den Blick. „Toll, meine Freundin kommt von dort!“, rief ich und nahm gleich noch ein zweites halbes Kilo dazu.
Nach der kleinen Begegnung beim Nüssekauf erinnerte ich mich an einen Artikel in der „Moskauer Deutschen Zeitung“ (MDZ) über einen tadschikischen Arbeitsmigranten in Moskau. Viele Bewohner der ehemaligen kaukasischen und zentralasiatischen Sowjetrepubliken arbeiten in Russland, wo die wirtschaftliche Situation immer noch vergleichsweise besser ist, und schicken das Geld nachhause zu ihrer Familie. Manche, wie Niso, sind schon seit Jahrzehnten hier und gut integriert. Andere werden als Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt wahrgenommen und ein wenig wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Mehr als 10% aller Tadschiken leben in Russland, schreibt die MDZ, ihre Geldüberweisungen in die Heimat machen 36% des tadschikischen Bruttoinlandsproduktes aus.